Dürfen wir noch ohne schlechtes Gewissen reisen?
Durch nachhaltiges Verhalten können wir einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Doch was bedeutet das für das Reisen? Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Jürgen Schmu-de, LMU Department für Geographie.
Der Tourismus ist in Bezug auf den Klimawandel sowohl Täter als auch Opfer. Nach verschiedenen Abschätzungen und Abgrenzungen trägt der Tourismus einerseits mit bis zu zehn Prozent an den globalen CO2-Emissionen zum Klimawandel bei. Nicht zuletzt deshalb sind in der jüngeren Vergangenheit einige Tourismusformen wie der Kreuzfahrttourismus verstärkt in die Kritik geraten, obwohl er „nur“ für ein Prozent der Emissionen des globalen Schiffsverkehrs verantwortlich zeichnet. Andererseits leiden touristische Destinationen unter den Folgen des Klimawandels, was durch die zurückgehende Schneesicherheit in vielen Regionen, in denen der Wintersporttourismus eine wichtige Rolle spielt, besonders deutlich wird. Aber auch andere Destinationen (z. B. Städte) leiden unter Folgen des Klimawandels (z. B. vermehrtes Auftreten von Hitzetagen). Was bedeutet dies nun konkret für unser individuelles, zukünftiges Reiseverhalten? Sollten wir zukünftig aufs Reisen verzichten?
Positive Effekte durch Tourismus
Die Antwort lautet eindeutig: Nein! Denn unser Reisen hat auch viele positive Folgen: Tourismus generiert und sichert in vielen Zielgebieten zahlreiche Arbeitsplätze und trägt somit zu Einkommen und Wohlstand in den Destinationen bei. Zudem leistet Tourismus einen wichtigen Beitrag zum interkulturellen Austausch und Verständnis. Schließlich hat der mit dem Reisen verbundene Urlaub für viele von uns einen hohen Erholungswert und in der Folge einen positiven Einfluss auf unsere Gesundheit. Diese positiven Aspekte des Tourismus werden oft übersehen, dürfen aber nicht als Rechtfertigung für ein „weiter so“ in Hinsicht auf unser Reiseverhalten interpretiert werden.
Reduzierung des Reisefußabdrucks
Vielmehr müssen wir unser bisheriges Reiseverhalten hinterfragen und ggf. ändern, um die negativen Folgen des Reisens zu minimieren. Hierbei nimmt die touristische Mobilität eine zentrale Rolle ein, denn je nach ausgeübter Mobilitäts- und Tourismusform ist sie für 70 bis 90 Prozent unseres Reisefußabdrucks verantwortlich. Konkret bedeutet dies, dass z. B. die überwundene Distanz in Relation zur Aufenthaltsdauer betrachtet werden muss. Anders ausgedrückt: Wir können unseren Reisefußabdruck mit einer geringeren Anzahl von Reisen (insbesondere Kurzreisen) bei gleichzeitig längeren Aufenthalten im Zielgebiet deutlich verringern. In der Summe würden wir damit nicht weniger reisen als bisher, aber sinnvoller. Weiter können wir die Größe unseres Fußabdrucks allein schon durch die zu überwindende Distanz und das gewählte Verkehrsmittel beeinflussen. Wenn unsere Haupturlaubsreise also nicht mehr jedes Jahr eine Flugreise ist, können wir unseren Reisefußabdruck weiter verringern.
"Gefragt ist nicht der Verzicht auf Reisen, sondern das bewusste Reisen!"
Prof. Dr. Jürgen Schmude
Reisen mit Hirn
Zukünftig ist es also notwendig, den Sinn und die Zielsetzung von Reisen zu hinterfragen, d.h. nicht jedes Angebot, das auf dem Reisemarkt existiert, macht Sinn und sollte konsumiert werden. Bewusstes und im Idealfall nachhaltiges Reisen hat zudem nichts mit Verzicht zu tun, vielmehr kann Nachhaltigkeit als Qualitätsmerkmal von Reisen verstanden werden. Dazu gehört u. a., dass auch die Form der An- und Abreise hinterfragt und im besten Fall bereits als positiver Bestandteil der Reise an sich erlebt wird. Damit beginnt und endet z. B. ein Urlaub nicht erst mit der Ankunft oder der Abfahrt in bzw. von der Destination, sondern bereits "an der Haustür".
Sollen wir zukünftig aufs Reisen verzichten? Prof. Dr. Schmude, LMU Department für Geografie, findet, nein, sagt aber, warum wir unser Reiseverhalten hinterfragen sollten. Foto: © privat
Zur Person
Prof. Dr. Jürgen Schmude ist Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Department für Geographie und befindet sich im Ruhestand. Aktuell ist er zudem wissenschaftlicher Leiter des Bayerischen Zentrum für Tourismus (BZT), für das er u.a. das Forschungsprojekt: „ToBaCo - Auswirkungen externer Schocks auf die Tourismuswirtschaft in Bayern: Das Beispiel Corona-Virus“ durchgeführt hat. Schließlich ist er auch Präsident der deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT).
3 Fragen
Auf welchem Gebiet sind Sie beim Klimaschutz Experte?
Ich setze mich sich seit mehr als 20 Jahren mit den Folgen des Klimawandels für den Tourismus auseinander (insbesondere Gesundheits- und Winter(sport)tourismus). Zudem beschäftige ich mich mit der Wirkung von externen Schocks (z.B. Terroranschläge oder Pandemien) auf den Tourismus, wobei oftmals das (veränderte) Verhalten der Touristen im Zentrum steht. Regional konzentrieren sich meine Forschungsarbeiten auf Deutschland (insbesondere Bayern) und Frankreich.
Seit wann forschen Sie im Bereich Klimaschutz?
Mit der Klimawandelfolgenforschung setze ich mich seit 2001 aus tourismuswissenschaftlicher Perspektive auseinander. Ausgangspunkt war das Projekt GLOWA-Danube (Globaler Wandel im Einzugsbereich der Oberen Donau), in dem Szenarien zur zukünftigen Entwicklung des Winter(sport)tourismus unter Klimawandelbedingungen entwickelt wurden.
Was sind Ihre Ziele? Was wollen Sie für den Klimaschutz erreichen?
Ich möchte den individuellen Beitrag der Reisenden zum Klimawandel reduzieren und hierdurch touristische Destinationen vor noch schwereren Folgen des Klimawandels schützen. Zudem möchte ich Destinationen und Akteure der Tourismuswirtschaft bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen.